Freddy – das Schlachtross

Ist es nicht herrlich zur Zeit? Ich meine draußen. Drinnen ist es oft wie immer. Nur wärmer. Aber draußen weht eine frische Flöte, die Vögel bekommen sich kaum noch ein und drehen vor lauter Sonne und Mildheit schier durch. Hast du mal aufgepaßt, wieviele Vögel allein in den Morgenstunden schon herumtröten? Ich hätte ja kaum für möglich gehalten, dass es so viele Vögel überhaupt gibt! Tief im Inneren bin ich nach wie vor überzeugt, dass sich sympathisierende Katzen und Kanninchen in das Morgenkonzert einklinken.

Es lenzt, dass die Schwarte kracht.

Mitten in dieser Zeit begab es sich letzte Woche, dass mir mein langjähriger Begleiter entführt wurde. Mein Fahrrad wurde geklaut. Vom Täter nach wie vor keine Spur. Kein Wunder bei dem Wunderrad. Den holt niemand mehr ein. Meine anfänglichen Wünsche, dass mein Rad einfach nur mal um die Ecke wollte und dann – vielleicht vollständig zur Rennmaschine mutiert – wiederkehrt haben sich nicht erfüllt. Das ist schlimm. Ich meine, stell dir nur mal vor, da weht ein laues Lüftchen, die Sonne prasselt ein strahlendes Dauerfeuer auf die Erde, die Welt duftet wie neugeboren und du bist … mobilitätsverhindert. Verdammt dazu, einen Teil dieses grandiosen Frühlingserwachens in einem Zug zu verbringen. Da drin bekommst du von der ganzen Herrlichkeit gar nichts mit. Es ist stickig und die werten mitreisenden Schläfer können die Reisezeit nicht verschönern. Das bisschen Lauferei zum und vom Zug fällt bewegungstechnisch nicht ins Gewicht. Außer man hats eilig. Dann fühlt man jedes zusätzliche Gramm mit körperlicher Abscheu.

Du wirst verstehen, dass dies für mich absolut kein herbeigesehnter Zustand ist. Ich will radeln. Ich will die “Operation Adonis” nicht gleich nach zwei, drei Tagen in die Tonne klopfen. In die eigene Tonne, denn mein Bauchumfang kann eine gewisse Änhlichkeit damit nicht leugnen. Der Winter war lang und bewegungslos! Ich will Kilometer scheffeln. Ich will mich quälen … Ähm … das streichen wir wieder. Der Saisonauftakt eines Saisonradlers, wie ich einer bin, ist stets geprägt von heftigen Anfällen geistiger und körperlicher Unzurechnungsfähigkeit. Das ändert sich nach ca. 400 – 500km radikal. Dann sind die ersten Pfunde auf die Straßen und Radwege getropft und das Radeln wird zum angenehmen Ausgleich zum Büroalltag. Bis dahin ist’s eine alljährlich wiederkehrende Tortur. Ein regelmäßiger masochistischer Anfall.

Also bin ich gestern abend etwas früher aus dem Büro gefallen und gen Meckenbeuren gezügelt. Dort gibts einen Fahrradladen, bei dem ich dazumal mein vielleicht schon erschossenes Wunderrad erstanden hatte. Ich ging selbstbewußt zu Saikls. Beseelt vom Gedanken an ein neues Radl, von der Materie keine Ahnung.

Es ist übrigens ein großer Fehler, von jedem, der oft und gern radelt anzunehmen, dass er automatisch ein Profi inpunkto Fahrradtechnik ist. Man könnte falscher nicht liegen. Zumindest bei mir! Das Fahrrad muss rollen, sich treten lassen und über eine langlebige Ausdauer verfügen. Alles andere ist mir egal. Zeigen sich allerdings die ersten Symptome von Versagen diverser Komponenten, bricht mir der kalte Fussschweiß auf die Stirn und ich beginne zu rechnen! Die voraussichtliche Werkstattrechnung!

Wieder zu Saikls …
Der Laden war gerammelt voll. Lauter Profis und Amateure, friedvoll vereint und um die Gunst der Mitarbeiter buhlend. Es war ein Kommen und Gehen (fahren!) aber wesentlich leerer wurde es nicht. Im Gegentum! Während ich wartete konnte ich das Gespräch einer mitwartenden Radfrau belauschen. So erfuhr ich, dass letzten Samstag auch die Bude gerammelt voll war und sie ihren Traum von Neurad bis zum heutigen Tag weiterträumen musste. Ich meine – wenn dermaßen viel los ist, muss entweder Frühling sein oder Ostern vor der Tür stehen oder Saikls so gut. Vielleicht alles zusammen!

Plötzlich war ich dran. Ich wollte ein Fahrrad kaufen, so Richtung Crossbike oder Fitnessbike. Der (gar nicht wie ein Radfahrer aussehende) Mitarbeiter führte mich zu einer langen Reihe eingepferchter Drahtesel und deutete auf ein Centurion Cross Line 600. Ulkig, weil ich mir erst am Abend vorher ein Centurion Cross Line 700 im Netz angeschaut hatte.

Crossbike Centurion Cross Line 600
Crossbike Centurion Cross Line 600

Ich durfte es zu Probe fahren. Ich ließ es frisch aufzäumen und schwang mich in den Sattel. Ich glaubte ein leises Schnauben zu hören, gefolgt von einem zaghaften, angestrengten Wiehern. Ich bedauerte im ersten Moment dieses Jungrad, weil es mich alten, schweren Sack auf seinem Rücken dulden musste. Wir setzten uns in Bewegung. Etwas zögerlich zunächst, dann aber forscher. Im lockeren Galopp preschten wir über den Radweg und drehten eine kleine Runde. Als wir wieder beim Saikls ankamen stellte ich fest, dass ich kein bisschen in Schwitzen geraten war. Das Rad war auch trocken! Ok … aber da war die Farbe. Ich wußte nicht … dieses helle braun gepaart mit grell-leuchtenden weißen Felgen und anderen Elementen … meine Augen taten weh! Ich fand diese Kombination einfach nur anstrengend. Völlig durchgeknallt. Ich stellte mir vor, wie ich mit dieser Leuchtboje von Fahrrad durch grüne Auen und Wälder jagen würde. Ich verglich es mit meinem alten, tiefschwarzen, das Licht fressenden Rad … und sagte so was wie “Packen Sie es gleich ein.”.

Der Radhüter warf mir einen fragenden Blick zu. Doch in meinen Augen nickte es bloß.

Ob ich noch eine Parkstütze haben wollte, fragte mich der Raddompteur. Ich lehnte ab! Parkstütze klingt nach Rentner und ist völlig inakzeptabel. “Könnte ich noch nen Radcomputer haben?”, stammelte ich und der flinke Radprediger zauberte das gleiche Billigteil, welches sich seit Jahren nutze, von irgendwoher. “Ich pack Ihnen noch zwei Steckbleche dazu”, gurrte der Radveredler und ich nickte nur, in Gedanken den Preis weiter in ungeahnte Höhen folgend. “Der Computer und den Spritzschutz bekommen Sie so dazu und das Rad mache ich Ihnen 50€ billiger …”, drängelten sich beschwörende Worte in meine Gehörgänge. Ich nickte! Als der Fahrradheld dann noch bei den Flaschenhaltern halt machte und mir mit fragend-zuckendem Augenlid meine Zustimmung entlocken wollte, schüttelte ich den Kopf. Ich Idiot! Ich dachte, dass es nun mit den ganzen Zugaben zu Ende sei und ich dann den Flaschenhalter vermutlich kaufen müßte. Jetzt – 28 Stunden später – bin ich mir ziemlich sicher, dass es den Flaschenhalter auch noch oben drauf gegeben hätte. Sicher! Aber zu spät.

Während ich zahlte wurde mein neues Fahrrad in die Werkstatt bugsiert, wo ein junger Radchirurg die ganzen zusätzliche Teile fachgerecht verbaute. Ich sah staunend aus der Ferne zu und wußte, dass ich nie zu den Radhexern gehören würde. Ich hätte mindestens 4mal so lange gebraucht wie der angehende Radgott und vermutlich noch mehrere unverzichtbare Teile überbehalten.

Dann aber – der Laden war immer noch rappelvoll! – schob ich meine neue Errungenschaft aus dem Radprofizentrum, streichelte es beruhigend und nahm die ersten 11,45km mit neuer Bereifung in Angriff.

Es fühlte sich anders an. Natürlich! Das alte, vermutlich schon tote Rad habe ich lange geliebt, getreten und nicht gepflegt. Da hat ein neuer Drahtesel einen schweren Stand. Apropos “schwer” – Schwerer als mein altes Rad fühlt sich das Centurion Cross Line 600 auch an. Aber wie ich am Abend recherchierte täuscht das total, denn beide Räde wiegen das gleiche! Komisch.

Wie ich also so nach Hause gondel, den einen oder anderen verwegenen Zwischensprint einlege, mit den ungewohnten Scheibenbremsen spiele habe ich das Gefühl, dass wir uns mögen werden. Ich beschloß, als wiedergeborener Ritter der Radwege, mein Schlachtross “Freddy” zu nennen. Womit ich nun endlich am Ende dieses Artikels auf den Titel zurückkomme.

Das alles spielte sich gestern ab.

Heute galt es für Freddy und mich, erstmalig den kompletten Parcour zum Büro und zurück zu absolvieren. Wir haben ihn gemeistert, der Freddy und ich! 40km ohne nennenswerte Verluste, wenn man von den paar Gramm Gewicht absieht. Doch ich habe das Gefühl, dass wir u.U. nicht lange zusammen bleiben werden und ich nach einem Freddy 2.0 frage.

Der einzige Unterschied zwischen Freddy, dem Schlachtroß und Freddy 2.0 ist die Rahmengröße. Freddy lebt mit einer 55er Rahmengröße und ich habe ständig das Gefühl, dass dies ein wenig zu wenig ist. Ich weiß nicht, ob das täuscht oder nur auf meinen mangelnden Fitnesszustand zurückzuführen ist, aber ich bilde mir ein, dass es sich nicht hundertprozentig gut anfühlt, Freddy zu reiten. Daher werde ich morgen wohl mal bei Saikls anrufen und fragen, ob sie nicht einen Centurion Cross Line 600 in 58er Rahmengröße einfangen und zureiten können. Ich bin gespannt, ob die das machen und würde das nur zu gern testen.

Natürlich halte ich dich auf dem Laufenden … Ein Bild vom Centurion Cross Line 600, welches ich hier verwenden dürfte habe ich noch nicht, aber ich arbeite daran!

Hier gehts zum nächsten Bericht zu Freddy …

2 Gedanken zu „Freddy – das Schlachtross“

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