Fahrradcrash oder: Das verspätete Halloween-Kostüm

Ich schreibe diesen Artikel jetzt gut 48h nach den Ereignissen, welche dazu führten, dass ich mit einem verwundeten Auge und ledierten Beinen vor dem Rechner sitze. Geistig bin unverwundet; würde ich sagen. Ob ich damit richtig liege, werden die folgenden Zeilen zeigen. Ich versuche jenen denkwürdigen Abend des 4. Novembers 2014 zu rekonstruieren. Das Bildmaterial welches ich in diesem Artikel verwende ist authentisch und nichts für zarte Gemüter. Möge dir der Hinweis über etwaige Schockmomente hinweghelfen, dass ich inzwischen einem normalen Menschen ähnle, wieder besser sehe, aber noch nicht so flüssig laufen kann.

Es war Dienstag, der 4.11.2014, ein ungewöhnlich lauer Novembertag. Er begann bereits unverhältnismäßig warm. Morgens zeigte das Thermometer sagenhafte 18°C an.
(Tags zuvor war ich noch fast in Winterklamotten bei klammen 4°C auf Freddy durch den Bodenseenebel gen Büro geritten. Ich will nur der Vollständigkeit halber erwähnen, dass ich keine 15min nach meiner Ankunft im Büro wieder heimgeradelt bin. Immer noch bei kühlem Nebelwetter. Ich hatte mein Surface (mein Arbeitsgerät) daheim vergessen! Nach lockeren 52km Frühsportradlerei legte ich einen Homeoffice-Tag ein. :) Diese Episode hatte jedoch keinen Einfluß auf den Tag danach.)
Angesichts der spätsommerlichen Temperaturen hatte ich mich für das kurze Radleroutfit entschieden und war morgens richtig gut damit unterwegs. Ich wunderte mich nur über die “Kollegen” Radfahrer, die mir sonst auch immer entgegen kommen: diese waren wie am Morgen davor gekleidet und mussten fürchterlich schwitzen. Ich freute mich darüber, mal wieder alles richtig gemacht zu haben.

Abends dann war es noch immer recht angenehm lau, wenn auch etwas kühler als in der Frühe. Daher schlüpfte ich nach Feierabend wiederum nur in die kurze Fahrradmontur und begab mich auf den ersten dunklen Heimweg der Radsaison 2014. Ich hatte beschlossen, gerade wegen der hereinbrechenden Dunkelheit einen längeren Weg zu fahren, der mich nicht durch kurze Wälder, dafür aber entlang von Straßen führte. Es erschien mir sicherer zu sein, da ich mich wieder an die Episode mit dem Reh erinnerte.
Alles in allem verlief die Heimfahrt wie erwartet. Entlang des Radwegs nach Meckenbeuren habe ich wie immer mit den Lichtern der Autos zu kämpfen. Es ist echt total nervig, im Dunklen einen Radweg entlang einer Fernverkehrsstraße zu fahren. Die Lichtkegel der entgegenkommenden Autos (auf der gegenüberliegenden Straßenseite) blenden den wagemutigen Radfahrer ein ums andere mal. Trotzdem gelingt die Umstellung auf diese widrigen Lichtverhältnisse recht gut, solange man allein auf der Radpiste ist, was um diese Uhrzeit den Normalfall darstellt. Man kann definitiv nicht so schnell fahren wie bei Tageslicht – und: man tut es auch nicht. Reiner Instinkt würde ich sagen.

Die Heimfahrt zieht sich also wie gewohnt durch Meckenbeuren in Richtung Kehlen und wird dort wegen der Sanierung des Funkenweges um einen Schlenker durch die Bodenseepampa bereichert. Der direkte Weg in Richtung Friedrichshafen Flughafen ist versperrt. Im Hinterland ist es stockduster, doch mein Owleye leuchtet den PFad vor mir sicher aus und ich gelange bequem auf den Radweg am Flughafen vorbei in Richtung Friedrichshafen. Der Radweg ist recht gut beleuchtet. Zumindest bis zum Flughafen. Danach muss man wieder mehr acht geben. Für einen routinierten Fahrer wie mich ist das aber kein Problem. Ich kenne diese Strecke nach jahrelanger Nutzung in- und auswendig. Da – vor mir taucht das Dorniermuseum auf. Das ist abends immer sehr hübsch in wechselnden Farben angestrahlt und so ein echter Hingucker.

Für das rechte Verständnis der weiteren Vorgänge bitte ich dich, die folgenden Auszüge aus Google-Maps zu verinnerlichen:

Kartenausschnitt von Google Maps: Der Radweg entlang am Flughafen Friedrichshafen und dem Dornier Museum
Kartenausschnitt von Google Maps: Der Radweg entlang am Flughafen Friedrichshafen und dem Dornier Museum

Schematische Darstellung des Unfallortes
Der “Tatort” in der Vergrößerung: rot der Radweg, schwarz ein großer Stein, 2 Radfahrer und ein Auto

Ich – der grüne Pfeil – radel also auf dem Radweg vom Flughafen kommend gen Friedrichshafen. Ich sehe bereits vor der Querung der Einfahrt zum Parkplatz vom Dorniermuseum das Licht eines entgegenkommenden Radfahrers. Das ist auf diesem Teilstück nicht ungewöhnliches. Oft fahre ich nicht geradeaus auf dem Radweg weiter, sondern mache den Schlenker auf die Straße nach rechts. Da es aber sehr dunkel ist, verzichtete ich vorgestern darauf und halte mich an den Radweg. Ein Fehler wie sich gleich zeigen wird.
Ich steuere auf die Mündung des Radwegs auf die Straße zu und wundere mich noch über den entgegenkommenden Radfahrer vor mir, weil der recht weit weg von seiner Einfahrtsschneise auf den Radweg unterwegs ist. Wenn ich mich recht erinnere, bremste ich meine nicht sehr hohe Geschwindigkeit (Gegenwind und dunkel!) automatisch herunter, als es auch schon passierte ….

Wir krachten mit voller Wucht zusammen, d.h. er schoß mich regelrecht ab, in dem er mir mit Schmackes ziemlich frontal in die Lenkradgegend donnerte. Ich hatte keine Chance gehabt. (Später ging mir auf, dass ich nicht mal hätte ausweichen können. Der schwarze Fleck da auf der zweiten Karte ist ein recht großer Stein. Bei einem Ausweichmanöver wäre ich gegen diesen Stein gekracht und hätte mich vermutlich ordentlich überschlagen. Das doofe an der Sache ist: der Stein ist bei Dunkelheit nicht oder nur sehr schwer zu sehen!)
Diese Stelle ist eh recht eng für Radfahrer, welche sie gleichzeitig passieren wollen. Bei Tageslicht stellt sie jedoch kein Problem dar, wenn man mit halbwegs normaler Geschwindigkeit unterwegs ist. Bei Dunkelheit sieht die Sache offenbar ganz anders aus.

Im nächsten wachen Moment sah ich mich auf dem kleinen Rasenstück zwischen Radweg und Straße sitzen. Im diffusen Schein des Dorniermuseums bemerkte ich eine recht stattliche Menge Blut auf meiner rechten Wade. Der Schädel brummte und das linke Bein schmerzte. Ansonsten schien alles noch funktionstüchtig zu sein. Ich nahm den Helm (den ich immer beim Radeln trage!) ab, denn der Kopf schien irgendwie offen zu sein. Mein “Gegner” (obwohl ich ihn nur ungern so bezeichne) rappelte sich gerade auf und wimmerte vor sich hin, während er nach seinem Schienenbein tastete. Ich saß noch ein ganzes Weilchen da und tupfte mir mit den Radhandschuhen oberhalb des linken Auges herum. Irgendwas war dort komisch. Das spärliche Licht reicht aber aus, um auf dem Handschuh die hellrote Farbe von dickem Blut zu erkennen. Ich war ernsthaft verletzt und vermutete (nicht zu unrecht) eine Platzwunde.

Wir rappelten uns beide auf und ich versuchte, daheim anzurufen. Erfolglos. Es ist Dienstag – da ist immer jede Menge los im Familienalltag. Mein Abschießer blickte mich ziemlich erschrocken an und nestelte fortwährend an sich herum. Ich dachte zuerst, dass er nach einem Handy sucht, um vllt. einen Arzt zu rufen. Aber dem war nicht so. Stattdessen entschuldigte er sich bei mir und redete irgendwas von “Auto” und “geblendet”. Das ist völlig einleuchtend, denn die Straße führt knapp neben dem Radweg entlang und wenn dort ein Auto fährt, kann man schon kurzzeitig geblendet sein. Ich spreche da aus Erfahrung, auch wenn ich kein Auto bemerkt hatte, was nicht verwunderlich ist, musste es ja in meinem Rücken gefahren sein.
Das “Geblendetsein” würde auf jeden Fall erklären, warum mein Fahrradschütze so überhaupt nicht seiner erforderlichen Linie treu geblieben ist, seine Einfahrschneise in den Radweg total verfehlte und statt dessen in meinen Fahrbereich geriet.

In mir übernahm der Analytiker das Kommando und ich hielt Ausschau nach Unterstützung. Mir wurde bewußt, dass etwas Erste Hilfe wohl was ganz nützliches in meiner Situation wäre. Ich schaute mich um. Das Dornier-Museum war zwar beleuchtet, schien aber unbewohnt zu sein. Mir fiel das Fitness-Studion gleich neben dem Museumsparkplatz ein: im Fairfit Fitnessclub brannte Licht und er schien gut besucht zu sein. Wir zwei einigten uns darauf, erstmal diesen Zufluchtsort anzusteuern, um dort erste notwendige Versorgungen zu erfahren. Gerade im Hinblick auf meine Platzwunde am Kopf, die ich immer noch nicht gesehen hatte. Wir hoben unsere Räder auf und liefen zum Studio. Interessanterweise funktionierten meine Lichter noch. Auch wenn mein Owleye irgendwie den Lichtrichtungsvektor geändert hatte und nun nach schräg hinten zur Fahrt-(bzw. Schub-)Richtung leuchtete. Ich schaltete es ab. Mein Rücklicht blinkte munter vor sich hin. Wir wurden von einem weiteren Radler von Friedrichshafen her überholt, der sich aber auf der Straße gehalten hatte, anstatt den Radweg zu nutzen. Im Gegenlicht war wohl gut zu sehen, dass man da nicht so recht an uns Unfallern vorbeikommen würde. Beim Fairfit angekommen, sah ich im herausfallenden Licht erstmalig Teile meiner momentanten Erscheinungsform. Mir schoß der Gedanke “perfektes Halloween-Kostüm; 4 Tage zu spät” durch den Kopf. Blutig verschmiert und humpelnd ging ich durch die Drehttür des Fitnessclubs und beobachtete interessiert die Reaktionen der Anwesenden: ihre Augen wurden immer größer.

Bludiges Gesicht und klaffende Wunde über dem linken Auge: Folgen eines Fahrradunfalls
Mit klaffender Wunde – Blut-Selfie im hilflosen Fitness-Studio Fairfit in Friedrichshafen am Flughafen

“Brauchen Sie ein Pflaster?”, hörte ich. Ich vermutete wohl nicht zu unrecht, dass ein Pflaster nicht ausreichen würde. Ich fragte nach “Tupfern und was zum Wunde reinigen”, erntete darauf aber nur ein entschuldigendes Kopfschütteln. Ein niedliches kleines Erste-Hilfe-Päkchen wurde auf den Tresen des Empfangs gehievt und geöffnet. Es enthielt nicht viel. Ein paar Pflaster. Ein Dreieckstuch wurde mir angeboten. Ich fragte verdutzt wofür das gerade gut sein sollte, bekam aber darauf keine plausible Erklärung sondern nur verlegenes Stammeln. Mit anderen Worten: die Jungs hatten keinen Plan davon was sie machen sollten. Immerhin kam einer der beiden auf die Idee, einen Krankenwagen zu rufen. Ich hatte daheim noch immer niemanden erreicht und so stimmte ich zu, einen Krankenwagen zu rufen. Wir bekamen was zu trinken (immerhin) und mir wurde immer wieder angeboten, etwas zum abwischen zu nehmen: ein Frotteehandtuch z.B. Ich stand mitten im Eingangsbereich und tropfte hin und wieder Blut in der Gegend herum. Neugierige Blicke ein- und ausfliegender Fitnessenthusiasten flogen an mir auf und ab aber es war niemand darunter, der sofort mit Hilfeangeboten reagiert hat. (Erst später kam eine Frau und nahm sich der Sache etwas an. Das Ergebnis war etwas Papierhandtuch, um mir die Wunde abzutrocknen.)

Geistesgegenwärtig fragte ich meinen Mitunfaller nach seiner Adresse. Ich habe keine Ahnung, ob das wegen Versicherungsfragen notwendig ist, hielt es aber für richtig. So tauschten wir die Adressdaten aus. Freddy war auf jeden Fall ein Versicherungsfall. Beim Schieben zum Fitnesstudio hatte ich die tolle Acht im Vorderrad bemerkt. Mein Owleye ließ sich (obwohl nur auf einer Steckverbindung verfestigt) nicht mehr vom Lenkrad trennen; es war beim Sturz eine innige Beziehung mit dem Lenker eingegangen. Das würde sich später einigen Untersuchungen stellen müssen. Doch zunächst galt es zu überleben.

Der Kollege Mitverunfallte war indes erheblich weniger lediert als ich und ich merkte, dass er gern weiter wollte. Sein Rad war auch noch fahrtüchtig. Wir verabschiedeten uns höflich, wobei er sich noch einmal entschuldigte und mir alles Gute wünschte. Es gab nichts, was er noch hätte tun können und so radelte er von dannen. Ich würde ihn ein paar Stunden später wiedersehen. Das wusste ich aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Blutspuren am Bein und fette Schramme über dem Oberschenkel
Blutspuren am Bein und fette Schramme über dem Oberschenkel – täuschend echtes Halloween-Makeup. Ach moment mal .. das ist echt!
Da stand ich nun (trocken)blutig und mit klaffender Wunde über dem Auge im Fitnesstudio und grinste die neugierigen Gaffer an. Ich erreichte endlich jemanden daheim und schilderte kurz des Vorgefallene, was logischerweise für einiges Entsetzen am anderen Ende der Leitung sorgte. Meine Frau wollte gleich losdüsen und mich holen.
Nach einer Weile kam dann der Krankenwagen und mit einem “Ohje – das ist tief”, bekam ich einen provisorischen Kopfverband und durfte im Krankenwagen Platz nehmen. Ich rief dem Fitnessstudioempfangskomitee noch zu, dass meine Frau mein Rad mitnehmen soll, welches (ebenfalls verwundet) an der Hauswand lehnte. Dann fuhren wir ab. Ich erfuhr, dass wir nach Tettnang ins Krankenhaus fuhren. Auf meine Frage, warum es Tettnang sei und nicht Friedrichshafen, erhielt ich die Anwort: “Weil das näher ist. Für Friedrichshafen müssten wir ja bis Manzell!” (Ich habe eben recherchiert: bis zum Krankenhaus Tettnang sind es 7,6km, was ohne Verkehr in 12min zu schaffen ist. Das Krankenhaus Friedrichshafen liegt 8,9km und damit 14min Fahrzeit vom Fitnessstudion entfernt. Die Sanitäter hatten das offensichtlich rasant im Kopf ausgerechnet, wofür ich gerade 1min googlen gebraucht habe! Respekt!)

Wie es im Krankenhaus weiter ging erfahrt ihr im nächsten Teil dieser irren Story. Doch den schreibe ich später. Jetzt ist Schonung angesagt … ich will ja wieder gesund werden. Auch wenn ich mutmaße, dass die Radsaison 2014 zu Ende ist … *seufz*

Hier geht es zum Teil 2 der Story: Der Themenmixer in der Notaufnahme der Unfallchirurgie!

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