Spätschicht, oder: Warum ist der Mars rot?

“Vom Marsflug zurück, Herr General!”, möchte ich in Anlehnung an die gleichnamige Geschichte eines meiner Lieblingsautoren rufen. Während der letzten 2 Stunden habe ich nämlich an einem sehr außergewöhnlichen Experiment teilgenommen, welches ganz offensichtlich die Antwort auf folgende Frage finden sollte:

Warum ist der Mars rot?

Ich weiß es jetzt. Ich weiß es deshalb, weil ich gerade unter absolut marsähnlichen Bedingungen geschuftet habe. Es mussten gerade eben die letzten zwei Stunden sein, weil … morgen der Fliesenleger kommt. Der war nicht Teilnehmer der Marsexpedition, weil er erst morgen kommt und nicht heute schon da war. Aber der Reihe nach …

Ich hatte im letzten aufsehenerregenden Bericht über das Leben auf einer Holz100-Haus-Baustelle berichtet, dass unser Eingangsbereich, welcher gleich hinter der Haustür anfängt, noch immer im Rohbaustadium verharrte. Das tat er mit Bravour die letzten 5 Wochen, was zufällig auch die ersten 5 Wochen unseres Lebens in unserem Haus waren. Während dieser ersten Wochen hatte sich der Eingangsbereich bodentechnisch nicht weiterentwickelt, wenn ich von den diversen Stadien der Beräumtheit mit verschiedenen Baumaterialien und Leergut mal absehe. Gleich hinter der Haustür, die ja auch erst recht spät bei uns einzog, befanden sich bis neulich auf ca. 7m² nur begehbarer Betonboden. Moment mal – Betonboden in einem Holz100-Haus? Ähm ja … der Betonboden ist nämlich gleichzeitig die Decke des Kellers, welcher aus nachvollziehbaren Gründen nicht aus Holz gebaut wurde. (Sollte dir, lieber Leser, das unklar sein, so gehe in dich und denke mal darüber nach was mit Holz passiert, welches rings herum mit Erde angeschüttet ist. Erde, durch die Wasser fließt.)

Wir hatten in der ursprünglichen Planung des Hauses brachliegenden Betonboden nicht vorgesehen. Statt dessen sollte der Eingangsbereich mit Fliesen belegt sein. Dies endlich in Angriff zu nehmen gelang uns Ende letzter Woche. Letzten Samstag vor ca. einer Woche hatten wir begonnen, den Boden im Eingangsbereich mit Waben inklusive Kiesschüttung zu verzieren. Die Waben sind 3cm hoch und 7m² Waben schlucken ca. 10 Säcke a 22,5kg Kies. Vielleicht waren es mehr Säcke, vielleicht weniger. Eher mehr. Ich hatte mir vorgenommen mitzuzählen, es aber während des Schleppens wieder vergessen. Egal …

Letzten Samstag belegten wir den Eingangsbereich mit Holzfaserplatten. Die kommen gemäß unserem Fußbodenaufbau nämlich auf die Waben mit der Kiesschüttung. Und auf diese Holzfaserplatten wiederum kommen Ziegel. Trockenestrichziegel um genau zu sein. Und auf diesen Trockenestrich wiederum kommen dann die Fliesen. So – damit ist auch unser Fußbodenaufbau mal beschrieben. Zumindest der im Eingangsbereich, in der Küche, im Abstellraum sowie in den Klos und in den Bädern. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja. Nachdem wir die Holzfaserplatten gelegt und zugeschnitten hatten, legten wir den Trockenestrich. Dazu nimmt man die Ziegel, bestreicht diese mit Estrichziegel-Kleber und legt eine erste Reihe an der Wand lang. Natürlich geht das der Länge nach nicht auf. Dann misst man den Rest der Länge ab und schneidet den Strichziegel durch. Das abgemessene Ende kommt in die Lücke der ersten Reihe, der Rest ist der Anfang der zweiten Reihe.

Und warum ist der Mars jetzt rot?

Gleich – gleich kommt die Auflösung.
Wie schneidet man Estrichziegel? Mit einer Schere? Haha – Späßle gemacht. Mit einer Flex natürlich. Wir sind in der glücklichen Lage, jemanden zu kennen, der handwerklich außerordentlich begabt und außerdem im Besitz einer Flex ist. Wir durften uns die Flex ausleihen. Ich schloss die Flex an der Außensteckdose an und flexte die Estrichziegel so zurecht, dass sie in die Reihen des Eingangsbereichs passten. Das ich flexen kann, wußte ich bis vor wenigen Monaten nicht. Wenn ich an die Zeit vor dem Bau denke, wußte ich so einiges nicht, was mir jetzt nur ein müdes Lächeln entlockt. Wir hatten im Sommer bereits notwendigerweise die Bäder und Klos und die Küche auf die gleiche Art und Weise mit Fußböden versorgt. Ich war also gewissermaßen noch etwas in Übung und wußte außerdem, dass man am Besten draußen flext. Warum? Weil … nun ja. So eine Flex besteht im Grunde genommen aus einer sehr schnell rotierenden Scheibe, welche mit einiger Mühe, aber bestimmt, durch Tonziegel flutscht. Dabei entstehen

  1. sehr viel Lärm
  2. sehr viel Staub

Wegen ersterem habe ich immer gewisse Skrupel, dieser Tätigkeit an Sonntagen nachzugehen. Wegen letzterem macht man das an der frischen Luft. Mit dem sicheren Bodensee-Wind weht der Dreck gleich weg. Man muss nur aufpassen, von wo der Wind weht und sich entsprechend aufstellen. Idealerweise geschieht das so, dass der Wind den Staub von einem wegweht.

Fantasy-Bild vom Mars
Wenn man mit einer Flex in einem kleinen Kellerraum Tonziegel bearbeitet, erinnert innerhalb kürzester Zeit alles an den Mars.
(Quelle: pixabay)

Wir flexten also Estrichziegel und verlegten sie im Eingangsbereich. Das war letzten Samstag. Nach wenigen Reihen dämmerte uns, dass wir viel zu wenig Estrichziegel haben. Wir sind echte Profis. Mitten in der Fläche gingen uns die Ziegel aus! Am Samstag! Wo doch der Fliesenleger gedroht hatte, am Montag zu kommen! Neue Ziegel zu holen – dafür war es schon zu spät. Vielleicht wußte unser Architekt jemanden, der auch gerade baut und uns mal eben 40 Ziegel ausleihen kann? Ich erreichte ihn nicht. Hmmm.

Meine Frau holte heute (Montag!) die fehlenden Ziegel und noch ein paar mehr. Der Ofenbereich braucht ja später auch noch ein paar. Ich trudelte gegen 18Uhr zu Hause ein. Niemand da. Meine handwerksbegeisterte Frau (die auch flexen kann!) hatte bereits begonnen, den restlichen Boden zu belegen. Es fehlten aber noch zwei Reihen, die aus Zeitgründen nicht fertig wurden. Termine!

Die restliche Familie folgte zwei Stunden später. “Morgen kommt der Fliesenleger.” … WAS? Angesichts der fehlenden Estrichziegelreihen auf dem Boden im Eingangsbereich stand das Abendprogramm fest: Estrichziegel verlegen.

Es war nach 20 Uhr.

Es ist dunkel da draußen.

Wir müssen flexen.

Wir haben keine Flutlichtanlage draußen installiert und ich dachte mir, dass die Nachbarn bestimmt nicht sehr begeistert sein würden, wenn wir um die Uhrzeit noch einen Höllenlärm veranstalten. Was also tun?

Ich nahm eine Bahn von dem Stoffzeug, mit dem man vor dem Malern den Boden belegt, damit der Boden keine Farbklekse bekommt. Die Bahn tackerte ich an die Tür des Bades der Ferienwohnung. Wegen des Staubes, der sich unweigerlich im gesamten Keller ausbreiten würde, wenn ich da die fehlenden Estrichziegel flexe. Ich kann bei geschlossenem Fenster flexen und dann mal lüften, wenn die Höllenmaschine schweigt. Perfekt.

Ich erwähne jetzt mal ganz kurz, dass die Estrichziegel “rote Tonziegel” sind. Ich will ja das eigentliche Thema dieses Artikels nicht ganz aus den Augen verlieren.

Wir taten so wie geplant. Ziegel ausmessen, anzeichnen, in den Keller hüpfen, in die Flexerei gehen, flexen. Bereits nach dem ersten Ziegel sah ich aus wie Winnetou. Es folgten aber noch einige weitere Estrichziegel, welche ich in diesem kleinen Raum, namens Bad (natürlich noch im absoluten Rohbau befindlich!), zuschnitt. Einige Ziegel mussten der länge nach geschnitten werden. Solche langen Schnitte verursachen logischerweise mehr Staub und viel mehr LÄRM als wenn man die Ziegel nur quer schneidet. Aufgrund dessen, dass ich wegen der zu vermeidenden Lärmbelastung der Nachbarn bei geschlossenem Fenster flexte, stand nach einen Ziegel eine schier undurchsichtbare Staubwolke im Arbeitsraum. Ich versuchte, einen zweiten Stein zu flexen. Das gelang nur mit äußerste Konzentration und Mühe, weil ich eigentlich nichts mehr sah und quasi “blindflexen” übte. Es war furchtbar. Also Vorhang zur Seite, Fenster aufreißen, Durchzug. Brillen putzen. ATMEN!

Und während ich dieser der Gesundheit wohl nicht sehr zuträglichen, aber dennoch notwendigen Tätigkeit nach ging, dämmerte es mir …

Ich weiß jetzt:

Warum der Mars rot ist!

Ich sah an mir herab. Ich hatte kurze Hosen an. Je weniger Stoff man am Leib trägt, desto weniger kann dreckig werden! Die unbedeckte Haut der Beine: rot. Die Arme außerhalb des kurzärmlichen T-Shirts: rot. Dem Blick meiner Frau sowie ihrer belustigten Anspielung auf Winnetou zufolge, mussten Haar, Gesicht sowie alle weiteren freizugänglichen Körperpartien rot sein. Die Klamotten waren mit einer roten Staubschicht überzogen.

Beim Flexen in dem engen Raum war die Atmosphäre bereits nach wenigen Sekunden staubig bis zu Abwinken. Über allem lag innerhalb kürzester Zeit ein roter Staubschleier.

WIE AUF DEM MARS!

Da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen: Der Mars ist deshalb so rot, weil er früher mal sowas wie eine Flexstation für Außerirdische war. Na klar. Die Aliens haben auf dem Mars Tonziegel abgebaut, diese zugeflext und dann mit ihren Raumschiffen zu ihren Baustellen geflogen. Das ist unglaublich clever von denen, denn damit haben sie sich gleich zwei Probleme vom Hals geschafft:

  1. Sie haben die ganzen Bruchstücke von den abgeflexten Tonziegeln nicht wegfegen müssen.
  2. Die Atmosphäre der oder des Heimatplanten ist immer noch atembar und nicht mit Trockenestrichziegelstaub verseucht.

Hast du mal die Bilder von der Marssonde gesehen? Die ganze Oberfläche des Mars ist übersät mit Bruchstücken und Trümmern. Die Atmosphäre ist durchzogen von einem rötlichen Staubschleier! GENAUSO wie es in meinem Bad im Keller aussieht, nachdem ich darin Tonziegel flexte!
Das ist der Beweis: auf dem Mars ist geflext worden! Und nicht zu wenig. Vermutlich durch Freiwillige, die jetzt seit vielen Jahren in irgendwelchen sündhaft luxuriösen Rehakliniken ihrer wohlverdienten Genesung frönen. Denn es braucht sicher außerordentlich guttuender Essenzen und Zuwendungen, um allein die Atemwege wieder freizubekommen, wie ich herausfinden musste …

Ich warte jetzt auch auf das Sanitätsschiff der Außerirdischen, welches mich einsammelt und zur Reha bringt. Ich brauche das jetzt, denn ich muss gerade nur mal in ein weißes Tuch schnäuzen … Das sieht furchtbar aus. Alles rot! Und als ich nach getaner Arbeit unter die Dusche sprang … ich wage es ja kaum auszusprechen … Es war, als hätte ich meine Tage! Ich, als Mann! Ein Albtraum.

Mir ist eines klar geworden: das alles war von langer Hand geplant worden. Irgendwelche Nasen haben Vermutungen angestellt, warum der Mars rot ist. Und dabei haben sie vielleicht in einem Nebenzweig der Analysen an das Flexen von Tonziegeln gedacht. Und mich haben sie ohne mein Wissen dazu auserkoren, den Beweis ihrer Theorie zu erbringen. Heute war der letzte Termin für das Experiment. Deshalb musste ich heute Estrichziegel flexen. Weil morgen der Großmeister kommt: der FLIESENLEGER.

Tja – und damit endet dieser selbstlose Großversuch um die Klärung der Großen Frage: Warum ist der Mars rot?

3 Gedanken zu „Spätschicht, oder: Warum ist der Mars rot?“

  1. Erst einmal ein Hallo an den Bodensee und ein großes Danke für die Mühe mit dem Blog.
    Ich habe die Artikel zum Hausbau gelesen und überlege mir derzeit noch ein Haus zu bauen. Da ich derzeit in einem Blockhaus (Doppelblockbohle) wohne und das Leben in einem Holzhaus sehr schätzen gelernt habe, frage ich mich gerade, ob nun, wo die Familie kleiner geworden ist, für uns zwei ein “altersgerechtes” :-)) Holz 100 Haus die passende Alternative wäre.
    Könntest du mal nen kurz schildern, wie zufrieden du mit deiner Wahl nach dem Winter bist?
    Grüße Klaudia aus Berlin

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  2. Zu schön… einfach genial … Ich kann es so nachvollziehen, bei mir waren es graue Betondachpfannen… und es war Sonntag und dann nicht die Nachbarn im Sonntagsschläfchen stören… Also in der Garage bei geschlossenem Garagentor geflext. Sonntag ist auch nur ein Wochentag und genau der vor Montag aber der beste freie Tag um zu flexen und daheim zu werkeln… Die Dachziegel sollten im Trockenen aufs Dach und wenn sonntags die Sonne scheint… Ich als Brillenträger habe zudem noch mit ständig staubbelegten Brillengläsern zu tun gehabt… Dieser feine Staub zerkratzt so schön die Brillengläser, die aus Kunststoff sind, wegen des Gewichts… Da freut sich des Fielmanns Kasse… Da darf dann bei Zeiten eine neue her… also mein Mars war grau also eher der Pluto… :)

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    • Vergaß ich zu erwähnen, dass ich spätestens nach jedem zweiten Ziegel die Brille putzen musste, um überhaupt die Chance auf Sicht zu haben? Ich kann mich nicht so genau erinnern, weil meine Sinnen noch so vernebelt waren.

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